Räume sind unsere 3. Haut!
Als Architekturjournalistin (Dipl.-Ing.) im Bereich Bauen und Wohnen schlägt Annette Galinskis Herz schon immer für die Gestaltung von Räumen, also Themen zur 3. Haut. Mit ihrer 2005 gegründeten Agentur Architekturtext schreibt sie für verschiedene Print- und Onlinemedien sowie für Architekten und Bauproduktehersteller, betreut Buchprojekte vom Bauherrenhandbuch bis zum Fachbuch für Planer und hält Vorträge zu Wohnthemen. Ihr erstes eigenes Buch „Das Musterbuch – Stoffe, Möbel, Wände, Böden“ veröffentlichte sie 2010 über die Deutsche VerlagsAnstalt München.
2014 wählte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen der Initiative FRAUENunternehmen Annette Galinski zur Vorbildunternehmerin. Bei Besuchen an Schulen, Hochschulen und bei Veranstaltungen ermutigt sie nun Frauen zu beruflicher Selbständigkeit und begeistert Mädchen für das Berufsbild „Unternehmerin“.
Diese Auszeichnung verbindet Annette und mich. Über diese Plattform haben wir uns kennengelernt. Darüber bin ich sehr froh, denn Annette lebt und arbeitet in der Nähe von Landau.
Annette hat im Dezember 2015 einen interessanten Vortrag bei Claudia Oestreich gehalten: Wie fühle ich mich in der 3. Haut? Das hat mich veranlasst, Annette näher über das Thema „Räume als 3. Haut“ zu befragen. Hier unser Interview:
Annette, du bezeichnest die Räume als 3. Haut: Was bedeutet das für dich genau?
Nach der Haut und unserer Kleidung sind Räume die nächste uns umgebende Hülle. Sozusagen unsere 3. Haut. Alle diese „Häute“ schützen uns vor äußeren Einflüssen.
Dabei sind unsere privaten Räume für uns sowohl ein Ort des Rückzugs, als auch der Begegnung und Kommunikation mit unserer Familie und Freunden. Mitunter sind sie zudem unser Arbeitsort. Sie erfüllen also viele Funktionen und sind Ausgangspunkt unserer Lebensgestaltung. In unserer 3. Haut wollen und sollen wir uns – wie in unserer 1. und 2. Haut – sprichwörtlich wohlfühlen.
Woran erkennst Du, wenn Menschen sich in ihrer 3. Haut nicht wohlfühlen?
Um diese Frage zu beantworten, möchte ich etwas weiter ausholen und mit einer eigenen Frage beginnen: Was schätzt Du – wie viel Zeit verbringen wir durchschnittlich in geschlossenen Räumen?
Es sind ganze 90 %! Das kann uns nicht unberührt lassen, denn es bedeutet, dass diese Räume den größten Teil unseres Lebens direkten Einfluss auf uns nehmen. Nicht nur unser Zuhause tut das, auch unsere Arbeitsumgebung.
Umgekehrt nehmen wir aber auch Einfluss auf die uns umgebenden Räume. Wir erschaffen, gestalten und verändern sie, wir passen sie unseren Wünschen und Bedürfnissen an. Diese Wechselbeziehung zwischen Mensch und Raum prägt uns. Zu unserer Wohnumgebung entsteht daraus eine emotionale Bindung. Unsere Wohnung wird zum Träger von Erinnerungen und damit Teil unserer Identität.
Entspricht meine Wohnumgebung nicht meinen Bedürfnissen z.B. nach Erholung, Rückzug und Intimität, kann sie zum Energieräuber werden. Das kann sich u.a. in Nervosität, Unruhe und erhöhten sozialen Konflikten zeigen. Warum das so ist? Unsere Wahrnehmung braucht die Anregung durch Außenreize, kann aber nur eine bestimmte Anzahl an Reizen gleichzeitig verarbeiten. Wir Menschen bevorzugen also in mittleres Maß an Reizen. Ein Zuviel, aber auch ein Zuwenig kann Stress auslösen. Der Körper muss sich ständig an die Situation anpassen und sich regulieren – körperlich wie auch psychisch. Und das kostet Kraft, was auf Dauer zudem die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit einschränken kann.
Welche Stil- und Hilfsmittel setzt Du ein, um das Wohlfühlen zu fördern?
Der wichtigste Schritt zu einer 3. Haut, in der ich mich wohlfühle, ist die Auseinandersetzung mit mir selbst. Mit meinen Bedürfnissen, Vorlieben und Rhythmen im Tagesablauf. Aber auch mit meiner Prägung im Bereich Wohnen aus der Kindheit und Jugend. Wie und wo habe ich mit meinen Eltern gelebt? Welche Trends und Stilrichtungen habe ich erlebt und wie habe ich sie empfunden?
Sobald ich weiß, was ich brauche, kann ich es (meist recht einfach) in der Gestaltung umsetzen. Um selbst herauszufinden, ob meine Wohnumgebung meinen Bedürfnissen entspricht, eignet sich ein achtsamer Spaziergang durch jeden einzelnen Raum. Man sollte sich Zeit dafür nehmen, denn es ist wesentlich, sich bewusst mit seinen Gefühlen beim Betrachten des Raumes mit all seinen Bestandteilen (Einrichtung, Dekoration, Farbgebung, Lichtverhältnisse usw.) auseinanderzusetzen. Und zu sehen, welche Dinge mich emotional berühren oder welche ich gar nicht mag. Aus dieser Übung erhält man wichtige Anhaltspunkte für das Veränderungspotenzial. Was ist gut, was könnte verändert werden und was gehört gar nicht mehr zu mir.
Allerdings ist die Gestaltung von Wohnräumen nichts Statisches. Veränderungen im Leben und bestimmte Lebensereignisse bringen häufig eine Veränderung der eigenen Anforderungen und Bedürfnisse an das Zuhause mit sich. Das kann eine Trennung sein, bei der der Partner seinen Teil der Einrichtung – und damit seine Persönlichkeit mitnimmt. Gleich einem Mobile, das durch Entnahme eines Bestandteils aus dem Gleichgewicht geraten ist, braucht es dann auch in der Wohnung eine Neuausrichtung. Die Aneignung unserer Wohnräume ist also ein andauernder Prozess, der im Auge und Herzen behalten werden möchte.
Vielen lieben Dank, Annette für dieses wunderbare Interview.
Annette Galinski ist übrigens im Netz unter www.architekturtext.de zu finden. Ebenso auch in Xing https://www.xing.com/profile/Annette_Galinski.
Ihre direkten Kontaktdaten sind galinski@architekturtext.de oder Telefon: 06349-4110080.
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